Gemeindereform 1973
Gemeindereform in Baden-Württemberg vom 01.09.1968 bis 01.01.1975
Bewahrung der weitgehenden kommunalen Selbständigkeit der Gemeinde Seebach: Misslungener Versuch der Eingliederung der Gemeinde Seebach
Im Jahr 2023 kann die Gemeinde Seebach das 50-jährige Jubiläum der weitgehenden kommunalen Selbstständigkeit feiern. Im Zuge der Gemeindereform wurden verschiedene Gemeindestrukturen diskutiert, welche neben der Bildung einer Achertalgemeinde sogar bis zur Eingliederung der Achertalgemeinden in die Stadt Achern reichten. Drum herum gibt es zahlreiche interessante Geschichten. Letztendlich wurde der Zusammenschluss mit der Nachbargemeinde Ottenhöfen im Schwarzwald beraten und bis zur schriftlichen Verfassung eines unterschriftsreifen Eingliederungsvertrages verhandelt. Im Ergebnis sollte die Gemeinde Seebach mit Wirkung vom 01. Januar 1973 in die Gemeinde Ottenhöfen eingegliedert werden.
Auf dieser Seite möchten wir Ihnen alle wichtigen Informationen zur Verfügung stellen.
Kreisgebietsreform in Baden-Württemberg
Mit Wirkung vom 1. Januar 1973 fand in Baden-Württemberg eine Kreisgebietsreform statt, bei der 32 Landkreise neu gebildet wurden und drei Landkreise nahezu unverändert bestehen blieben. Bereits in den Jahren zuvor hatte es zur Vorbereitung der Kreisreform der finanziell vom Land Baden-Württemberg geförderte, freiwillige Zusammenschluss und die Umgliederungen zahlreicher Gemeinden gegeben. Die freiwillige Phase der Gebietsreform in Baden-Württemberg startete am 01.09.1968. Ab 1972 verschärfte sich die Gangart, wurde aber in der Folge aufgrund enormer Widerstände zahlreicher Gemeinden wieder abgemildert. So wurden vielfältig Verwaltungsgemeinschaften gebildet, in welchen sich die weiterhin selbständig arbeitenden Gemeinden zur Übertragung bestimmter Gemeinschaftsaufgaben auf die erfüllende Stadt oder Gemeinde im Verwaltungsraum verständigen konnten.
Entscheidung gegen eine freiwillige Eingliederung der Gemeinde Seebach in die Gemeinde Ottenhöfen
Im Achertal wurde schließlich der Gemeindeverwaltungsverband Kappelrodeck mit den Gemeinden Kappelrodeck mit Waldulm, Ottenhöfen mit Furschenbach und Seebach gebildet. Erfüllende Gemeinde in dieser Verwaltungsgemeinschaft wurde die Gemeinde Kappelrodeck.
Die Gemeinde Waldulm hat sich zuvor freiwillig mit der Gemeinde Kappelrodeck und die Gemeinde Furschenbach freiwillig mit der Gemeinde Ottenhöfen zusammengeschlossen. Der Gemeinderat von Seebach entschied sich auf der Grundlage einer Bürgeranhörung einstimmig gegen eine freiwillige Eingliederung der Gemeinde Seebach in die Gemeinde Ottenhöfen.
Wie vorstehend schon berichtet, gilt hierbei anzumerken, dass die Eingliederung der Gemeinde Seebach in die Gemeinde Ottenhöfen schon zu Ende verhandelt war und ein detaillierter Eingliederungsvertrag mit einer Zusatzvereinbarung hinsichtlich der von Seebach geforderten Projekte vorlag.
Vereinbarungsentwurf als PDF herunterladen.
Am 12. März 1972 fand die besagte Bürgerabstimmung in Seebach statt. Bei der Abstimmung mit der Frage „Sind Sie für die Eingliederung der Gemeinde Seebach in die Gemeinde Ottenhöfen?“ am 12. März 1972 haben sich 194 Stimmberechtigte für den Anschluss an Ottenhöfen und 530 für die Beibehaltung der Selbstständigkeit der Gemeinde Seebach entschieden. Auf Grund dieses eindeutigen Ergebnisses beschloss der Gemeinderat am 21. März 1972 die freiwillige Eingliederung in die Gemeinde Ottenhöfen abzulehnen. Dies trotz der Situation, dass mit dieser Entscheidung auf deutliche Finanzmittel der vom Land Baden-Württemberg ausgelobten „Hochzeitsprämie“ verzichtet wurde.
Stimmzettel Bürgeranhörung vom 12.03.1972 als PDF herunterladen.
Weiterexistenz der Waldgenossenschaften Seebach und Grimmerswald
Ein wesentlicher Punkt bei der Eingliederungsthematik spielte für die Bürger/innen der Gemeinde Seebach die Frage der Weiterexistenz der beiden Waldgenossenschaften Seebach und Grimmerswaldmit Ausschüttung des Bürgernutzens an die Mitglieder. Die beiden Waldgenossenschaften in Seebach und die Waldgenossenschaft Ottenhöfen (Waldulmer Seite) sind von ihrer Bildung her als Gemeindegliedervermögen anzusehen. Sowohl in Seebach als auch in Ottenhöfen haben sich die Bürger/innen bei den Gemeindegründungen für eine eigenständige Verwaltung des Gemeinschaftswaldes der Ortsteile entschieden. Diese Verwaltung lag über lange Zeit in den Händen der jeweils gewählten Gemeinderäten aus diesen Gemeindeteilen. In Ottenhöfen war man zum Zeitpunkt der Gemeindereform seitens der Gesamtgemeinde sehr erfolgreich vor Gericht in erster Instanz unterwegs, dass die dortige Waldgenossenschaft in den Gemeindeverband eingegliedert werden muss. In Seebach mistraute man der Zusicherung seitens der Gemeinde Ottenhöfen, dass man im Falle der Eingliederung der Gemeinde Seebach nach Ottenhöfen nichts aktiv unternehmen Wolle, was den Fortbestand der Waldgenossenschaften in Seebach gefährdet. Dieses Misstrauen hat sich deutlich auf das Abstimmungsergebnis der Bürgeranhörung ausgewirkt.
Auszug der Zusatzforderung der Waldgenossenschaften Seebach und Grimmerswald als PDF herunterladen.
Auszug aus dem Protokoll der Bürgerversammlung am 02.03.1972 als PDF herunterladen.
Der Reformprozess zur Bildung von größeren Gemeinden, Städten und Landkreise in Baden-Württemberg wurde erst zum 01. Januar 1975 offiziell abgeschlossen.
Die einwohnerkleinste, selbständige Gemeinde in Baden-Württemberg ist aktuell die Gemeinde Böllen im Südschwarzwald mit 102 Einwohnern. Die einwohnerstärkste Gemeinde ist die Landeshauptstadt Stuttgart mit derzeit 626.275 Einwohner.
Bewahrung der kommunalen Selbstständigkeit
Die badische Schwarzwaldgemeinde Seebach kann sich heute im Jahr 2023, 50 Jahre nach diesem Reformprozess, im Kreise der Städte und Gemeinden behaupten. Die wichtigen kommunalen Entscheidungen konnten und können weiterhin durch den Gemeinderat gefällt werden. Eine kompetente Verwaltung unter Führung des Bürgermeisters arbeitet im Rathaus. Der gut aufgestellte örtliche Bauhof gewährleistet die Unterhaltung und Betreuung zahlreicher Infrastruktureinrichtungen. Bei Bedarf können die Bürger/innen auch über einen Bürgerentscheid direkt mitbestimmen. Viele für Seebach für gut beschlossene und umgesetzte Projekte und Regelungen wären in einer größeren Verwaltungseinheit anders entschieden oder erst gar nicht zur Ausführung gekommen.
Die Gemeinde Seebach hat sich in den zurückliegenden 50 Jahren enorm entwickelt. Es konnten neben den naturschonenden Baulanderschließungenmehrere öffentliche Einrichtungen neu geschaffen werden, an welche bei der Diskussion der Gemeindereform nicht einmal im Traum zu denken war. Besonders hervorzuheben ist der beständige Ausbau und die Unterhaltung der kommunalen Infrastruktur in den Bereichen Trinkwasser, Abwasser, Stromversorgung, Breitbandversorgung und Kommunalstraßenbau. Ferner auch die Investitionen in die Schule, in die Kindergärtenund in den Bau einer Mehrzweckhalle.
All dies und noch Vieles mehr wird von der kleinen, eigenständigen Gemeinde Seebach geleistet, obwohl über 93 % der 1.905 ha großen Gemarkungsfläche als Natur- und Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen ist. Auf zahlreichen Flächen lastet dabei ein gleich mehrfacher Naturschutz in Form von Biotopen, FFH-Gebietsflächen, Vogelschutzgebiets-flächen und Nationalparkflächen. In diesen Bereichen sind der Gemeinde überhaupt keine Entwicklungsmöglichkeiten gegeben. Ein finanzieller Ausgleich für diesen enormen Naturschutzbeitrag für die Allgemeinheit und die von der Gemeinde zu tragenden Einschränkungen erfolgt seitens des Landes leider noch nicht. Die Gemeinde Seebach erbringt mit deutlichem Abstand den höchsten Beitrag an Schutzgebietsflächen im ganzen Ortenaukreis.
Mit dem Gemeindeverwaltungsverbandes Kappelrodeck und dem Abwasserzweckverband Achertal werden gemeindeübergreifende Aufgaben zentral durch die Gemeinde Kappelrodeck wahrgenommen. Die wesentlichen Entscheidungen werden allerdings in den Verbandsversammlungen unter Beteiligung aller drei Achertalgemeinden gefällt. Ebenso hat man sich im touristischen Bereich sehr erfolgreich und freiwillig zur Tourismuskooperation Achertalzusammengeschlossen. Das Achertal wiederum ist Mitglied im Tourismuszusammenschluss der Nationalparkregion.
Doch den überwiegenden Aufgabenteil zur Verwaltung, Steuerung und Weiterentwicklung nimmt weiterhin die Gemeinde Seebach mit dem Gemeinderat, dem Bürgermeister und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern selbst wahr. Dies mit vielseitiger Einbindung der Bevölkerung und der örtlichen Vereine und Organisationen.